Sonntag, 31. Januar 2016

Ich hasse Wartemarken

Achtung, hier kommt eine These: Telefonieren ist out.

Ich kann das zwar nicht belegen, aber es soll angeblich stören, nervt und stiehlt Zeit. Sagt zumindest ein gewisser Stefan Schmitt in diesem Artikel. Und damit ist er nicht alleine. theguardian und der Observer sehen das ähnlich. All diese Artikel ploppen in den letzten Wochen in meinem Newsfeed auf, bekommen eine Menge Zustimmung und lassen mich ständig nur eines denken: Ruft! Mich! An!

Ja genau: Ich will mit Menschen sprechen. Reden. Mich unterhalten. Ob für 5 oder 55 Minuten – scheißegal. Ich fürchte, mit dieser Ansicht wirke ich jetzt furchtbar Oldschool, aber was soll’s.

Ein Beispiel: Ich bin umgezogen. Neue Stadt. Neuer Job. Neue Leute. Beim Abschied hat man sich Sätze wie „Du bist ja nicht aus der Welt.“ „Ich will unbedingt wissen, wie es dir dann ergeht!“ „Halt uns auf dem Laufenden!“ angehört und in einer Mischung aus Wehmut und Dankbarkeit alle abgenickt. Ja, so könnte es klappen. Man hält sich auf dem Laufenden. Man erzählt sich alles, auch wenn man sich nicht mehr so oft sieht. Kann ja nicht so schwer sein.

Aber es gibt eine Hürde dabei: Die Kommunikation und die Wahl des Mittels. Und die fällt nunmal in den meisten Fällen auf Messenger, WhatsApp oder E-Mail. Da bekommt man dann nach der ersten Woche die immer gleiche Textnachricht: „Wie geht es dir?“ „Oh, danke gut. Ist alles sehr aufregend aber auch anstrengend. Mal sehen, wie das noch wird.“ „Ach, das packst du schon.“ Noch ein bis zwei andere Phrasen werden hin- und hergeschoben, bis irgendjemand mal aufs Klo/zum Essen/irgendwohin muss und sich verabschiedet. Fertig. Update abgeschlossen. Bis zur nächsten Woche. Vielleicht. Vielleicht aber auch erst in zwei oder drei Wochen. Mal sehen, wann man Zeit hat die nächste kurze Nachricht ins Smartphone zu tippen. Eine echte Unterhaltung? Naja, nicht wirklich. Man erhält keine weiteren Infos, ein Austausch über Gedanken, die aktuelle Gefühlslage oder sonstigen sentimentalen Kram findet nicht statt.

Aber es ist natürlich auch sehr viel bequemer mit der Textmessage. Man kann sie eben reinquetschen, wenn man mal 5 Minuten Zeit in der U-Bahn hat. Man muss sie sich nicht extra für ein womöglich langwieriges Telefonat nehmen. Kann ich gut verstehen, Zeit ist ja bekanntlich ein kostbares Gut, das man nicht einfach so verplempern sollte.
Man kann sich vorher gut überlegen, was man schreibt, damit man cool und lustig zugleich wirkt. Und wenn es mal „nichts“ zu erzählen gibt, lässt man es einfach bleiben. Beim direkten Gespräch würde man womöglich unüberlegte Sätze sprechen, oder gar Pausen machen, in denen mal jemand nichts sagt. Oh Gott, nicht auszudenken!

Ich komme mir vor, als ob ich jedes Mal eine Wartemarke ziehe, wenn ich versuche mit jemandem Kontakt aufzubauen. Es tutet ein paar Mal bevor die Mailbox anspringt. Und dann wartet man auf den Rückruf. In der Zwischenzeit schreibt man selbst auch schonmal die eine oder andere Nachricht, um nicht in vollkommene Vergessenheit zu geraten. Zwei Tage später bekommt man einen Text à la „Sorry, hab’s nicht geschafft anzurufen, aber hey: wie gehts dir?“

„…“

Ich hasse Wartemarken.

Ja ja, schon klar. Das ist völlig überspitzt dargestellt. Stimmt auch. Ich bin ja auch nicht grundsätzlich gegen Messenger und Co. Im Gegenteil. Ich finde sie toll. Wenn man sich verabreden will zum Beispiel. Oder wenn man gerade etwas lustiges erlebt hat und das spontan teilen will – perfekt! Oder in Momenten, in denen man vielleicht nicht telefonieren kann oder auch mal keine Lust hat – fair enough.

Aber ich bin der Meinung, dass das ausschließliche hin- und herschicken von kurzen Nachrichten eben nicht ausreicht, um Beziehungen aufrecht zu erhalten. Punkt.

Und deshalb, liebe Leute, ist es mir egal, was Die Zeit oder theguardian oder der Observer schreiben. Ich werde auch weiterhin auf euren Smartphone-Displays als „Verpasster Anruf“ erscheinen. Verlasst euch drauf! :-)